Im Bett mit Gabriele - statt einer Empfehlungsliste für den Monat September

In diesem Monat fällt mir nichts zum Empfehlen ein. Leider. Deswegen empfehle ich allen Lesern und Leserinnen: Denken Sie doch einmal über Ihr Leben nach und halten Sie Ausschau nach grünen Techno-Samplern.

Allen, die dann noch etwas Zeit haben, empfehle ich, meinen Leserbrief an die ZEIT zu lesen:



Betr. den Artikel von Jürgen Dahl in der ZEIT Nr. 36 vom 30. August 96, Seite 76:

Abschied von der Schreibmaschine
Das Ende einer Kulturtechnik

Sehr geehrter Herr Dahl, sehr geehrte Redaktion,


Mit diesem Beitrag haben Sie sich eine lebenslange Mitgliedschaft im Club der unbelehrbaren Nostalgiker erworben.

Da beleidigen Sie, Herr Dahl, zur Einleitung schon mal die Autoren im Writers' Room. Anscheinend haben Sie einen unserer Prospekte in die Hand bekommen, was Ihnen als Grundlage für einen gut durchgearbeiteten Text ausreichend erschien. Wären Sie nach formloser Anmeldung einmal hier aufgekreuzt, wo ich gerade diesen Text schreibe, hätten Sie vielleicht erfahren, daß der Writers' Room wie Blue Jeans, Hamburger und Ketchup nach einer amerikanischen Erfindung benannt wurde. Vielleicht hätten Sie uns dann verraten, daß das inzwischen ehrenrührig ist.

Hätten Sie noch ein wenig Zeit übrig gehabt, hätten wir gerne versucht zu erläutern, was der Anschluß ans Internet für das Dichten bringen mag: die Möglichkeit, ein neues Medium zu erproben und es nicht nur den Wissenschaftlern und Marketingstrategen zu überlassen.

Aber Sie haben ja Wichtigeres zu tun. Sie müssen einen großen Klagegesang anstimmen, nein, nicht auf den Untergang der Kultur des Abendlandes, sondern auf den drohenden Verlust Ihrer mechanischen Schreibmaschine "Gabriele". Schon entwerfen Sie Visionen, daß Sie eines Tages mechanische Schreibmaschinen horten und in Ölpapier wickeln müssen, um weiter schreiben zu können. Dies begründen Sie mit der wagemutigen These:

"Mit der Abschaffung der körperlichen Arbeit beim Betrieb der mechanischen Schreibmaschine verliert der Schreiber zugleich den letzten Rest von sinnlichem Bezug zum Vorgang des Schreibens."


Ich bin über diese Äußerung verwundert, denn anscheinend kennen Sie schon Computer, bei denen man nicht mehr auf die Tastatur haut, sondern seinen Gedankenstrom direkt in den PC einspeisen kann. Außerdem beklagen Sie, Computertexte seien "Flickwerk, gemessen an den Texten, die auf altmodische Weise durchgearbeitet wurden wie ein Teig." Dann zitieren Sie den niederländischen Schriftsteller Frans Pointl, der seine Texte bis zu zwanzigmal abtippt. Ihm geht es dabei um das "Resultat", während wir Autoren im Writers' Room nur Texte "schnell und mit möglichst geringem Aufwand" erzeugen wollen.

Das hat mich nachdenklich gestimmt. Ich sprach mit meinem Kollegen Mattis Manzel darüber, ob Sie, Herr Dahl, nicht mit Ihrem "Resultat" vielleicht recht haben. Aber Mattis (der für seinen ersten Roman sechs Jahre gebraucht hat) meinte nur, das "Resultat" sei doch, daß Herr Pointl seine Texte nicht fertigbekomme und deshalb bis heute ein weitgehend
unbekannter niederländischer Schriftsteller geblieben sei. Das fand ich für eine mit möglichst geringem Aufwand hingeschluderte Entgegnung ziemlich einleuchtend.

Wie dem auch sei: Ich nehme Ihnen nicht übel, daß Sie ein hoffnungsloser Nostalgiker ist. Ich finde es nur schade, daß einige Ihrer interessanten Überlegungen zur Kulturtechnik "Schreiben" im konservativen Sand verlaufen. Was mir allerdings stinkt, ist, daß Sie einen solchen Artikel schreiben und dann die Hilfe des modernsten Drucklayouts bemühen, um den Anschein von Schreibmaschine zu erwecken.

Aber selbst das ist nicht der eigentliche Knackpunkt.

Meine Erfahrung mit Computern und mein Anschluß ans Internet hat mich gelehrt, daß es mal wieder Zeit ist für schnell entworfene Texte, die keinen Anspruch auf Ewigkeit erheben wie die ausgefeilt blutleeren Konstruktionen, die in der ZEIT und im übrigen deutschen Feuilleton abgefeiert werden wie heilige Kühe.

In Hamburg und hoffentlich auch anderswo scheißen SchriftstellerInnen auf den Unterschied zwischen mechanischer und elektronischer Literatur. Sie wollen lebendige Literatur und keine auf Hochglanz geschminkte Leichen. Deshalb mögen Sie, Jürgen Dahl, doch einmal auf eine kleine polemische Debatte in den Writers' Room kommen. Danach können Sie Ihre Texte gerne weiter stundenlang wie Teig durcharbeiten, anschließend Ihre geliebte Gabriele mit ins Bett nehmen und solange auf dem Ölpapier rumstreicheln, bis es dunkel wird.

Mit freundlichen Grüßen





Hartmut Pospiech, Autor im Writers' Room Hamburg

(E-Mail) [meine damalige Email-Adresse lautete: 100660.2510@compuserve.com]


Hamburg, 09. September 1996

Beam mich zur Homepage, Scotty!