Betr. den
Artikel von Jürgen Dahl in der ZEIT Nr. 36 vom 30. August 96, Seite 76:
Abschied von der Schreibmaschine
Das Ende einer Kulturtechnik
Sehr geehrter Herr Dahl, sehr geehrte Redaktion,
Mit diesem Beitrag haben Sie sich eine lebenslange Mitgliedschaft im
Club der unbelehrbaren Nostalgiker erworben.
Da beleidigen Sie, Herr Dahl, zur Einleitung schon mal die Autoren im
Writers' Room. Anscheinend haben Sie einen unserer Prospekte in die
Hand bekommen, was Ihnen als Grundlage für einen gut durchgearbeiteten
Text ausreichend erschien. Wären Sie nach formloser Anmeldung einmal
hier aufgekreuzt, wo ich gerade diesen Text schreibe, hätten Sie
vielleicht erfahren, daß der Writers' Room wie Blue Jeans, Hamburger
und Ketchup nach einer amerikanischen Erfindung benannt wurde.
Vielleicht hätten Sie uns dann verraten, daß das inzwischen ehrenrührig
ist.
Hätten Sie noch ein wenig Zeit übrig gehabt, hätten wir gerne versucht
zu erläutern, was der Anschluß ans Internet für das Dichten bringen
mag: die Möglichkeit, ein neues Medium zu erproben und es nicht nur den
Wissenschaftlern und Marketingstrategen zu überlassen.
Aber Sie haben ja Wichtigeres zu tun. Sie müssen einen großen
Klagegesang anstimmen, nein, nicht auf den Untergang der Kultur des
Abendlandes, sondern auf den drohenden Verlust Ihrer mechanischen
Schreibmaschine "Gabriele". Schon entwerfen Sie Visionen, daß Sie eines
Tages mechanische Schreibmaschinen horten und in Ölpapier wickeln
müssen, um weiter schreiben zu können. Dies begründen Sie mit der
wagemutigen These:
"Mit der
Abschaffung der körperlichen Arbeit beim Betrieb der mechanischen
Schreibmaschine verliert der Schreiber zugleich den letzten Rest von
sinnlichem Bezug zum Vorgang des Schreibens."
Ich bin über diese Äußerung verwundert, denn anscheinend kennen Sie
schon Computer, bei denen man nicht mehr auf die Tastatur haut, sondern
seinen Gedankenstrom direkt in den PC einspeisen kann. Außerdem
beklagen Sie, Computertexte seien "Flickwerk, gemessen an den Texten,
die auf altmodische Weise durchgearbeitet wurden wie ein Teig." Dann
zitieren Sie den niederländischen Schriftsteller Frans Pointl, der
seine Texte bis zu zwanzigmal abtippt. Ihm geht es dabei um das
"Resultat", während wir Autoren im Writers' Room nur Texte "schnell und
mit möglichst geringem Aufwand" erzeugen wollen.
Das hat mich nachdenklich gestimmt. Ich sprach mit meinem Kollegen
Mattis Manzel darüber, ob Sie, Herr Dahl, nicht mit Ihrem "Resultat"
vielleicht recht haben. Aber Mattis (der für seinen ersten Roman sechs
Jahre gebraucht hat) meinte nur, das "Resultat" sei doch, daß Herr
Pointl seine Texte nicht fertigbekomme und deshalb bis heute ein
weitgehend unbekannter niederländischer Schriftsteller geblieben sei. Das fand ich
für eine mit möglichst geringem Aufwand hingeschluderte Entgegnung
ziemlich einleuchtend.
Wie dem auch sei: Ich nehme Ihnen nicht übel, daß Sie ein
hoffnungsloser Nostalgiker ist. Ich finde es nur schade, daß einige
Ihrer interessanten Überlegungen zur Kulturtechnik "Schreiben" im
konservativen Sand verlaufen. Was mir allerdings stinkt, ist, daß Sie
einen solchen Artikel schreiben und dann die Hilfe des modernsten
Drucklayouts bemühen, um den Anschein von Schreibmaschine zu erwecken.
Aber selbst das ist nicht der eigentliche Knackpunkt.
Meine Erfahrung mit Computern und mein Anschluß ans Internet hat mich
gelehrt, daß es mal wieder Zeit ist für schnell entworfene Texte, die
keinen Anspruch auf Ewigkeit erheben wie die ausgefeilt blutleeren
Konstruktionen, die in der ZEIT und im übrigen deutschen Feuilleton
abgefeiert werden wie heilige Kühe.
In Hamburg und hoffentlich auch anderswo scheißen SchriftstellerInnen
auf den Unterschied zwischen mechanischer und elektronischer Literatur.
Sie wollen lebendige Literatur und keine auf Hochglanz geschminkte
Leichen. Deshalb mögen Sie, Jürgen Dahl, doch einmal auf eine kleine
polemische Debatte in den Writers' Room kommen. Danach können Sie Ihre
Texte gerne weiter stundenlang wie Teig durcharbeiten, anschließend
Ihre geliebte Gabriele mit ins Bett nehmen und solange auf dem Ölpapier
rumstreicheln, bis es dunkel wird.
Mit freundlichen Grüßen
Hartmut Pospiech, Autor im Writers' Room Hamburg
(E-Mail) [meine
damalige
Email-Adresse lautete: 100660.2510@compuserve.com]
Hamburg, 09. September 1996
Beam mich zur Homepage, Scotty!
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