Dritter Tag: Mein Pferd heißt Klinsmann
Am nächsten Morgen eine willkommene Abwechslung: Ich soll für eine
Stunde auf die beiden Söhne meiner Gastgeberin Margot aufpassen. Sie
bereitet ihre Abwesenheit generalstabsmäßig vor. Der Jüngere der beiden
werde bestimmt kurz weinen, aber das solle ich ignorieren.
Für alle Fälle legt sie eine Videocassette mit einer Folge "Jim
Knopf und Lukas dem Lokomotivführer" bereit, die im Notfall die Kinder
von meiner Unfähigkeit ablenken soll. Überraschenderweise verhalten
sich die Gören sehr kooperativ und veranstalten für mich eine Führung durch
ihr Spielzeugarsenal. Der Jüngere zeigt mir stolz seine
Ritterburg und die Plastikrecken, mit denen er spielt. Der blauweiße
Ritter heißt Estarabim, nach einem türkischen Popsong, der im Hause oft
und laut geschmettert wird. Dann präsentiert er mir stolz sein Pferd
und versucht mir den Namen zu sagen. Doch sein Deutsch ist noch phantasievoll
und für Familienfremde nicht zu verstehen, weshalb mir sein großer Bruder
übersetzt: Mein Pferd heißt Klinsmann.
Dann wollen die beiden "Benjamin Blümchen" hören. Ich lege den
Klassiker "Benjamin als Fußballtorwart" ein, und frage mich, warum ich
noch nicht in der Jugendbuchhalle war, und komme danach auch in den
Genuss von Jim Knopf und einiger Stücke Tiefkühlpizza. Der
Ältere hat die Angewohnheit, den ganzen Belag von der
Pizza zu kratzen, und dann den Teig zu essen. Seine Mutter Margot
erzählt, daß er im italienischen Restaurant immer am liebsten
Salamipizza bestellt. Auf Nachfrage erklärte er, dass sich da der Belag am besten entfernen ließe.
Aus diesem Kind wird was werden im Leben.
Am Nachmittag erledige ich, nun schon routiniert, meinen Schlussspurt
auf der Messe. Ich notiere mir Ansprechpartner, ordere
Rezensionsexemplare. Für längere Gespräche bleibt keine Zeit. Auch den
Irland-Pavillon, das Herzstück der Messe, durchquere ich im
Laufschritt. Zwischendurch treffen wir uns in der Presselounge: Über
E-Mail hat sich Thomas angekündigt, der interessiert ist, am
Literaturforum mitzuarbeiten. Er hat ein Foto mitgeschickt, das auf dem
Laptopschirm wie ein schlechtkopiertes Fahndungsfoto aussieht. Trotzdem
erkennen wir uns - Segen der Technik - sofort.
Dann fahren wir zurück in unser Quartier, um unsere Sachen zu packen.
Ich bin beinahe traurig, dass Margot uns zum Bahnhof bringen will, denn
zu gerne hätte ich einen weiteren Test mit den Frankfurter Taxifahrern
gemacht. Kurz vor Abfahrt gehe ich noch mal aufs Klo, um von den
Päpsten Abschied zu nehmen. Dabei fällt mir auf, daß Päpste früher
ziemlich gefährlich lebten. Einer starb, sein Nachfolger ließ ihn
ausgraben und nach einem Schauprozess in den Tiber werfen, worauf das
Volk den Nachfolger gefangen nahm und erwürgte. Andere Päpste wurden
nach zwanzig Tagen im Amt vergiftet, starben an unbekannten
Todesursachen oder mussten aufgrund von Intrigen zurücktreten. Einer von ihnen
schaffte es immerhin, dreimal gewählt zu werden.
Am Bahnhof drücken mich die Jungs heftig zum Abschied, was mir
die Tränen in die Augen treibt. Dann fährt auch schon der Zug. Nebenan
im Großraumabteil markiert eine junge Frau verschiedene Artikel in der
taz und in der Bildzeitung. Neugierig fragen wir nach. Sie hat am
nächsten Tag ein Casting bei RTL 2 und soll dort "den fiesesten Typen
der Woche" darstellen. Ein heftige Diskussion über Kinderschänder,
islamische Fundamentalisten und deutsche Politiker entbrennt. Folko
bringt die Diskussion zu einem unwürdigen Ende, indem er sich darauf
versteift, dass Pinocchio der fieseste Typ überhaupt sei.
In Hamburg erwartet mich meine Freundin auf dem Bahnhof und meckert,
weil ich am hintersten Ende ausgestiegen bin.
Hartmut Pospiech
Die Geschichte mag zwar zuende sein - diese Kolumne aber noch nicht!
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