Die Internet-Kolumne

von Hartmut Pospiech






Dritter Tag: Mein Pferd heißt Klinsmann

Am nächsten Morgen eine willkommene Abwechslung: Ich soll für eine Stunde auf die beiden Söhne meiner Gastgeberin Margot aufpassen. Sie bereitet ihre Abwesenheit generalstabsmäßig vor. Der Jüngere der beiden werde bestimmt kurz weinen, aber das solle ich ignorieren.

Für alle Fälle legt sie eine Videocassette mit einer Folge "Jim Knopf und Lukas dem Lokomotivführer" bereit, die im Notfall die Kinder von meiner Unfähigkeit ablenken soll. Überraschenderweise verhalten sich die Gören sehr kooperativ und veranstalten für mich eine Führung durch ihr Spielzeugarsenal. Der Jüngere zeigt mir stolz seine Ritterburg und die Plastikrecken, mit denen er spielt. Der blauweiße Ritter heißt Estarabim, nach einem türkischen Popsong, der im Hause oft und laut geschmettert wird. Dann präsentiert er mir stolz sein Pferd und versucht mir den Namen zu sagen. Doch sein Deutsch ist noch phantasievoll und für Familienfremde nicht zu verstehen, weshalb mir sein großer Bruder übersetzt: Mein Pferd heißt Klinsmann.

Dann wollen die beiden "Benjamin Blümchen" hören. Ich lege den Klassiker "Benjamin als Fußballtorwart" ein, und frage mich, warum ich noch nicht in der Jugendbuchhalle war, und komme danach auch in den Genuss von Jim Knopf und einiger Stücke Tiefkühlpizza. Der Ältere hat die Angewohnheit, den ganzen Belag von der Pizza zu kratzen, und dann den Teig zu essen. Seine Mutter Margot erzählt, daß er im italienischen Restaurant immer am liebsten Salamipizza bestellt. Auf Nachfrage erklärte er, dass sich da der Belag am besten entfernen ließe.

Aus diesem Kind wird was werden im Leben.

Am Nachmittag erledige ich, nun schon routiniert, meinen Schlussspurt auf der Messe. Ich notiere mir Ansprechpartner, ordere Rezensionsexemplare. Für längere Gespräche bleibt keine Zeit. Auch den Irland-Pavillon, das Herzstück der Messe, durchquere ich im Laufschritt. Zwischendurch treffen wir uns in der Presselounge: Über E-Mail hat sich Thomas angekündigt, der interessiert ist, am Literaturforum mitzuarbeiten. Er hat ein Foto mitgeschickt, das auf dem Laptopschirm wie ein schlechtkopiertes Fahndungsfoto aussieht. Trotzdem erkennen wir uns - Segen der Technik - sofort.

Dann fahren wir zurück in unser Quartier, um unsere Sachen zu packen.

Ich bin beinahe traurig, dass Margot uns zum Bahnhof bringen will, denn zu gerne hätte ich einen weiteren Test mit den Frankfurter Taxifahrern gemacht. Kurz vor Abfahrt gehe ich noch mal aufs Klo, um von den Päpsten Abschied zu nehmen. Dabei fällt mir auf, daß Päpste früher ziemlich gefährlich lebten. Einer starb, sein Nachfolger ließ ihn ausgraben und nach einem Schauprozess in den Tiber werfen, worauf das Volk den Nachfolger gefangen nahm und erwürgte. Andere Päpste wurden nach zwanzig Tagen im Amt vergiftet, starben an unbekannten Todesursachen oder mussten aufgrund von Intrigen zurücktreten. Einer von ihnen schaffte es immerhin, dreimal gewählt zu werden.

Am Bahnhof drücken mich die Jungs heftig zum Abschied, was mir die Tränen in die Augen treibt. Dann fährt auch schon der Zug. Nebenan im Großraumabteil markiert eine junge Frau verschiedene Artikel in der taz und in der Bildzeitung. Neugierig fragen wir nach. Sie hat am nächsten Tag ein Casting bei RTL 2 und soll dort "den fiesesten Typen der Woche" darstellen. Ein heftige Diskussion über Kinderschänder, islamische Fundamentalisten und deutsche Politiker entbrennt. Folko bringt die Diskussion zu einem unwürdigen Ende, indem er sich darauf versteift, dass Pinocchio der fieseste Typ überhaupt sei.

In Hamburg erwartet mich meine Freundin auf dem Bahnhof und meckert, weil ich am hintersten Ende ausgestiegen bin.

Hartmut Pospiech




Die Geschichte mag zwar zuende sein - diese Kolumne aber noch nicht!

Lesen Sie Empfehlungen, die Sie nicht versäumen dürfen.



- vorige Seite

Empfehlungsliste -



Diese Kolumne wurde zuletzt geändert am: 08. Oktober 96
Die nächste Kolumne erscheint Ende Oktober '96.

© Hartmut Pospiech, 1996. Dieser Text darf ausschließlich zu privaten Zwecken verwendet werden.
Jede weitere Nutzung ist nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors gestattet.



E-Mail * Zur Kolumnen-Homepage * Archiv



Übersicht * Autoren * Über den Writers' Room