Hi! Die Internet-Kolumne

von Hartmut Pospiech
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Erster Tag: Papst Clemens XII hebt das Lottoverbot auf

Natürlich habe ich erwartet, daß mich die Frankfurter Buchmesse umhaut. Aber der höchst spezielle Eindrucksoverkill ist eine echte Droge.

Das schreit förmlich nach einer Hommage an James Ellroy:

Neun Uhr. Vor der Toren. Bevor ich noch das erste Buch gesehen habe, schon das erste Gewühl. Überfüllung am Eingang. Ich fühle mich privilegiert. Presseausweis. Schließfach im Pressezentrum suchen. Probeweise Laptop anschließen. Alles easy. Mein Partner Folko atmet durch: Panik war überflüssig. Dann in die erste Pressekonferenz. Laue Scherze vom Sprecher. Müde zehn Journalisten. Der Sprecher hat nichts zu sagen. Tut das fünfzehn Minuten.

Erster Streifzug. Halle 4, zweite Etage. Electronic Media. Bei Microsoft klappt die Verbindung zum Internet nicht. Ansonsten ruhig, beinahe beschaulich. Wo ist hier Multimedia?

Zweiter Streifzug. Halle 6, erste Etage. Treffen mit unserem Kollegen Jürgen Abel, einem Buchmesseveteran, am Stand von Dölling und Galitz. Hier und in der Etage drunter: die großen Belletristik- und Sachbuchverlage. Die Stände erinnern an Wohnklos, Beschäftigte und Besucher drängeln sich wie Sozialhilfeempfänger in einer Siedlung des sozialen Wohnungsbaus. Aber vergessen wir nicht, daß hier die Literatur erst gemacht wird.

Zeitsprung: 14 Uhr. Halle Vier. Basement. Plötzlich wird mir klar, warum das englische Wort "fair" nicht nur "Messe", sondern auch "Jahrmarkt" bedeutet. Am Eingang: ein riesiger Stand des Spieleherstellers Bomico Entertainment. Auf großen Bildschirm laufen unablässig Demos der neuesten Spiele. Ich, der sonst von jeder Spielhalle fasziniert ist, ich fühle mich - irritiert. Doch dafür bleibt keine Zeit. Nebenan erklärt der Kollege von AOL vor einer großen Projektionswand die Vorteile eines digitalen Daseins.

Bumm! Bumm! Let me say YEEAAAAHHHH! dröhnt zur Untermalung seiner These ein Ausschnitt aus einem Videoclip auf den Schirm. Schnittige Frauen tanzen und singen. Toller Sound! Die Kollegen vom Elektronikverlag nebenan verdrehen die Köpfe. Ich stelle mir vor, wie es ist, das alle halbe Stunde zu hören. Fünf Tage lang. Bumm! Bumm!

Bei Eunet darf ich umsonst im Internet surfen. Endlich mit ISDN-Anschluß. Wow! Ehe ich nur die wichtigsten Pages besucht habe, sind anderthalb Stunden rum. Hinten ist die Halle nicht mal voll. Beim riesigen Stand vom ZDF popeln sich die Angestellten gelangweilt in der Nase. Ein verlorener Internetfan probiert den einzigen Bildschirm mit Verbindung zu ZDF-Online aus. Nirgendwo in den Messehallen kann man so gut abschalten wie hier.

Dann noch ein wenig auf Verlagstour gehen. Ein Lektor vom Knaur-Verlag, mit dem ich einen Termin habe, verschwindet ohne Vorwarnung im Gewühl, nachdem er eine halbe Stunde mit einigen Dummspacken aus dem Verlagswesen Nichtiges parliert hat. Ich füge ihn meiner kleinen Liste "Unpersonen, bei Übernahme der Weltherrschaft gelegentlich in ein dunkles Verlies zu werfen" hinzu. Seine Designerbrille und sein bläulich-kariertes Sakko verfolgen mich noch den ganzen Abend wie das Grinsen der Cheshire-Katze.




Wie geht's weiter?

Grauenvolle Ereignisse erwarten den Autor nach Ende des Messetags.
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© Hartmut Pospiech, 1996.



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